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Zu Gast im Geisterhof Zu Gast im Geisterhof
 

 • Die Ankunft
 • Der Nachbar
 • Paranoia

Autor dieser Szene: Volker Pietsch
 

Paranoia

Eireen atmet nervös und schnell.

Eireen: Tom ...? (atmet) Tom ...?
Tom: Na was?
Eireen: (schreit auf)
Tom: Du übertreibst. Ich gebe ja zu, daß ich etwas zerknautscht aussehe, wenn ich mitten in der Nacht aus den Federn geholt werde, aber ...
Eireen: Ach, halt' doch die Klappe! Ich dachte, ihr kommt aus dem Fahrstuhl.
Tom: (gähnt) Na ja, runter kommen sie immer, aber rauf ging's nicht mehr. Der Fahrstuhl ist defekt. Wir mußten ... (gähnt) die Treppe nehmen.
Wirt: Also, was ist nun? Ihr Mann hat mir erzählt, daß Ihr Nachbar Sie belästigt. Ich höre überhaupt nichts.
Eireen: Öffnen Sie bitte die Tür. Wir glauben, daß ihm etwas passiert ist.
Wirt: Herr Akkermann hatte vor kurzem einen Skiunfall. Er hat sich beide Beine gebrochen. Wahrscheinlich hat ihn nur was unter dem Gips gekratzt.
Tom: Hörte sich eher so an, als hätte man ihm ein Skalpell miteingegipst. Oder mit was arbeiten die Ärzte hier, mit Blutegeln?
Eireen: Nun machen Sie schon auf, ich mußte mir hier die ganze Zeit das Wimmern anhören!

Ein Schlüssel klimpert.

Wirt: He, geben Sie mir den Schlüssel wieder. Wahrscheinlich konnte er gerade endlich einschlafen und wir stören ihn jetzt.

Der Schlüssel dreht sich im Schloß.

Eireen: Das nehme ich auf meine Kappe.

Die Tür wird geöffnet.

Wirt: Ah, sehen Sie? Er schläft.
Eireen: Vielleicht ist er ohnmächtig geworden.
Tom: Da, er hat Speichel im Mundwinkel.
Eireen: Ich kenne allerdings noch einige, die beim Schlafen sabbern.
Akkermann: (stöhnt plötzlich wild)

Dramatische Musik setzt im Hintergrund ein.

Eireen: (schreit auf, mit gepreßter Stimme) Laß mich los!
Tom: (ruft) Hey, laß die Finger von ihr!
Eireen: Laß meinen Hals los!
Akkermann: Du kriegst mich nicht, du ...
Tom: Helfen Sie mir!
Wirt: Ich hab' ihn schon!
Eireen: Endlich! (hustet und atmet schwer)
Akkermann: Laßt mich los! Ich muß hier weg! Sie kommen heraus!
Wirt: Was reden Sie denn da?
Akkermann: Die Leute in den Wänden! Sie kommen nachts und wandern hinter der Tapete. (flüsternd) Und unter dem Boden! Schsch, schsch! Helfen Sie mir! Bevor sie kommen! Bevor sie hochsteigen! Holen Sie mich hier raus!
Tom: Jetzt kommen Sie mal auf den Teppich!
Akkermann: Nein, nein, nein! Nicht den Boden berühren! Nicht den Teppich! Sie kriechen unter dem Teppich! Unter dem Boden und in den Mauern! Sie müssen auch hier raus! Sonst ist es zu spät! Die werden Sie holen kommen! Sie riechen uns! Ich glaube, sie können riechen, wo wir sind. Und hören! Schscht! Helfen Sie mir, ich kann nicht gehen! Meine Beine ...
Eireen: Jetzt holt schon einen Arzt!
Akkermann: Nein! Nein! Bitte, bitte laßt mich nicht allein! (schluchzt, erstickte Schreie) Laßt mich nicht allein mit ihnen!
Wirt: Sie haben wirklich fest geschlafen, wie? Haben Sie nicht den Schneesturm gehört? Heute nacht kommt hier kein Arzt mehr durch! Morgen, wenn sie geräumt haben ...
Eireen: Dann fordern Sie einen Hubschrauber an!
Wirt: Einen Hubschrauber! Er hatte einen Alptraum!
Akkermann: Bitte! Ich will sie nicht mehr hören! Wie sie atmen! Und klopfen! In den Wänden! Ich will hier raus! I - iiiee - ichchchchch ...
Tom: Er ist ohnmächtig geworden.
Wirt: Wir lassen ihn jetzt schlafen. Morgen rufe ich einen Arzt an. Wenn er sich dann nicht wieder beruhigt hat. Es war wohl einfach ein böser Traum. (lacht halbherzig) Entschuldigen Sie, aber für seine Gäste kann der beste Hotelier nichts! Gehen Sie wieder zu Bett. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen noch etwas zu trinken. Etwas, von dem man gut einschlafen kann!

Er schließt die Tür.

Tom: Mhm.
Wirt: Warten Sie, ich bin gleich wieder da.

Schritte entfernen sich.

Eireen: Was denkst du?
Tom: Hm. Ich bin enttäuscht. Ich hatte auf einen prominenten Rockmusiker gehofft, der sein Zimmer demoliert. Da hätte ich ein paar hübsche Fotos schießen können. Ich habe allerdings noch nicht erlebt, daß jemand so intensive Alpträume hat.
Eireen: Na, das werde ich gleich nachempfinden können. Ich glaube kaum, daß ich von Blumen und Schäfchen träume, nachdem er mir an die Kehle gegangen ist.
Tom: Ach, komm schon. Du hast schon ganz anderes durchgestanden. Der Mann ist doch vollkommen ans Bett gefesselt. Da brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen.
Eireen: Es war nicht der Mann. Er wollte ja auch nicht mich angreifen. Er hielt mich für jemand anderen!
Tom: Ja, ja, für die Pressesprecherin des Volks in den Wänden. Kein Wunder, du bist ja auch so blaß wie eine Wand. (nuschelt undeutlich:) Wenn auch nicht so flach.
Eireen: Tom, selbst die Leute, die unter dem Boden leben, könnten nicht tiefer sinken als du, Schätzchen! Komm, wir sehen mal, wo der Wirt bleibt.

Sie gehen weg.

Akkermann: (flüstert im Schlaf) Sie kommen euch alle holen. Die unter dem Boden kauern. Die zwischen den Wänden schleichen.

Musik

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Fortsetzung:

 Zu spät

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© Die Gruselseiten (6. Februar 2001)