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Zu Gast im Geisterhof Zu Gast im Geisterhof
 

 • Die Ankunft
 • Der Nachbar
 • Paranoia
 • Zu spät
 • Souvenir
 • Der weiße Tod
 • Bettlägerig
 • Das hohle Haus
 • Das Geschöpf unter der Treppe
 • Und wenn er kommt?
 • Gastwirt des Grauens
 • Labyrinth

Autor dieser Szene: Volker Pietsch
 

Labyrinth

Eireen: Dann wollen wir mal sehen, wohin dieses Loch in der Treppe führt. Aber erst mal ... Wo mache ich das jetzt fest? Ah, die Säule da. Mal sehen ...

Ein unter seiner Verknotung knirschendes Seil ist zu hören.

Eireen: Bitte, lieber Gott, mach, daß das Seil lang genug ist! So ... Verdammt, Seemannsknoten müßte man können! Ach, wird schon halten. So und jetzt das andere Ende um meine bezaubernden Hüften ... Autsch, das war ein bißchen fest. Hoffentlich krieg' ich das hinterher wieder los. Ich werde mich jedenfalls nicht in diesem Labyrinth da unten verlaufen! Okay, okay, haben wir alles? Messer, Beil, Taschenlampe und meine kleine Überraschung. Brilliant.

Ihre Schritte hallen über das Parkett, dann auf den ersten Stufen der Treppe.

Eireen: Und ... (atmet tief ein) hinein ins Vergnügen!

Sie hievt sich durch das Loch.

Eireen: Au! Verdammter Splitter! Das fängt ja schon gut an.

Die Akustik verändert sich merklich: Das Heulen des Sturms verschwindet, der Hall läßt nach, stattdessen eine hörbare, künstliche Stille, wie sie von elektrischen Geräten erzeugt wird, die zwar eingeschaltet sind, aber nicht in Betrieb genommen werden.

Eireen: Ist das eng. Shit, wo komm' ich denn hier raus? Wenn ich nicht gleich einen Ausweg finde, kriege ich noch einen Anfall. (atmet heftig) Aha. Verflucht noch mal, ist das eng!

Ihr Körper reibt sich an den Wänden.

Eireen: (ab jetzt flüsternd) Das gibt ein paar hübsche Schürfwunden. Aua. Na ja, wenn man jahrelang da unten lebt, bleibt man wahrscheinlich ein wenig dünner. Oha, was haben wir hier, eine Gabelung! Hm.

Knipsen

Eireen: Hoffentlich reichen die Batterien der Taschenlampe. Na toll, man sieht überhaupt nicht, wohin die Gänge führen. Ene, mene, muh ... Ach was, ich nehm' den linken. Oh. Wie das stinkt! (Pause) Ohhh, gleich ersticke ich! Aahhh!

Man hört den Aufprall Eireens und beinahe gleichzeitig ihrer Lampe. Eireens Stimme hallt jetzt wieder kräftig.

Eireen: Oah! Shit, das tut weh! Oh, bitte, die Lampe soll nicht kaputt sein! Oh, bitte, von den zwei Metern Sturz abwärts geht man doch nicht gleich kaputt!

Knipsen

Eireen: Oh, danke! Das ist Wertarbeit! Das Seil ist auch noch dran! So und wo bin ich? Eine Halle! Kisten. Und weitere Gänge. Na ja, wenigstens brauche ich nicht mehr zu kriechen. Also, Entscheidungen, Entscheidungen ... Ich nehme diesen Gang hier.

Ihre hallenden Schritte. Plötzlich ein fernes Brüllen.

Eireen: Was war das? (atmet zitternd)

Sie geht eine ganze Weile wortlos weiter.

Eireen: Was haben wir hier? Betten. Total verrostet. Oh, wie kann er nur in all diesem Schimmel überlebt haben, ohne an Krankheiten einzugehen? Die Matratze ... Gott, dieser Gestank!

Sie geht weiter.

Eireen: Noch eine Halle. Noch mehr Kisten. Riesige Kisten. Fast schon Container.

Ein klagendes, ächzendes Geräusch

Eireen: (atmet erschrocken ein)

Noch einmal das gleiche Geräusch

Eireen: (leise, fast tonlos) Tom? (lauter) Tom?
Tom: (kaum wahrzunehmen) Eireen ...
Eireen: Tom, oh, Tom, wo bist du? Das kam aus einem der Kästen! Warte, Tom, ich hol' dich da raus! Oh, die stehen alle übereinander!

Keuchend wuchtet sie die Kisten auseinander.

Tom: (nur schwach vernehmbar) Eireen, ich bin hier drin!
Eireen: Ich weiß, Tom, ich hol' dich raus! Nur noch diese Kiste!

Ein krachendes Geräusch

Eireen: Aaah!

Lautes Quietschen

Tom: (in der Kiste) Eireen, was ist los?
Eireen: Eine der Kisten ist aufgesprungen! Sie war voller Ratten! Sie greifen mich an! Geh' weg, du Biest, laß mich!

Die Axt saust durch die Luft. Aufschläge und schrilles Quietschen.

Eireen: So, ihr Mistviecher, wie schmeckt euch das Beil?

Die Ratten huschen davon.

Eireen: So, und jetzt deine Kiste.
Tom: (dumpf) Eireen!
Eireen: Der Deckel ist offen, die andere Kiste stand nur darauf!

Eireen stemmt den Kistendeckel auf.

Eireen: Oh, Tom!
Tom: (schnappt gierig nach Luft) Dem Himmel sei Dank! Hol' mich hier raus!
Eireen: Gib mir deine Hand!

Eireen zieht den ächzenden Tom aus der Kiste hoch.

Tom: Oah, mir tut alles weh, das war nicht gerade sehr bequem darin. Gut, daß die Kiste Risse im Holz hatte, sonst wäre ich erstickt!
Eireen: Tom, du bist ja voller Blut! Du bist verletzt!
Tom: Nein, nein, das ist nicht mein Blut! Wirf mal 'nen Blick in die Kiste.
Eireen: Oh nein! Herr Akkermann!
Tom: Das, was von ihm noch übrig ist. Laß uns hier verschwinden! Wo müssen wir lang?
Eireen: Wir müssen nur dem Seil folgen, an dem ich mich festgebunden habe!
Tom: Gut, aber schnell, schnell! Diese Kreatur ist ungeheuer stark!

Sie laufen davon.

Eireen: Gut, das ich dich hier gefunden habe! Das Seil hätte nicht mehr weiter gereicht! Oh nein!
Tom: Mach die Taschenlampe wieder an!
Eireen: Die Batterien sind leer!
Tom: Dann sei jetzt leise! Wir müssen uns nur an dem Seil entlang hangeln!
Joseph: (lallt)
Eireen: Schscht! Tom!
Tom: Das war nahe! Er ist hier irgendwo im Dunkeln!

Tappende Geräusche.
Hintergrundmusik setzt ein.

Joseph: (mühsam artikulierend, aber im Rhythmus) Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein ... (plötzlich bricht er ab, schnüffelt, zieht die Luft lange ein und atmet ebenso lange wieder aus)
Eireen: (wispernd) Was tut er?
Tom: Er riecht uns.
Joseph: Wo? Wo? (knurrt)

Joseph beginnt zu laufen.

Tom: Lauf! Lauf!

Sie stolpern vorwärts. Joseph läuft ihnen brüllend nach.

Tom: Aah!

Er fällt auf den Boden.

Eireen: Was ist?
Tom: Er hält mich am Bein fest! Aaah!
Eireen: Oh, mein Gott, ich hab' das Beil bei den Kisten vergessen!
Joseph: (knurrt und geifert)
Tom: Eireen, tu doch was!
Eireen: Das Messer! Komm' her, du Biest!
Joseph: (schreit wütend)
Eireen: Aah! Es ist irgendwo in seinem Körper steckengeblieben!
Tom: (unterdrückt) Eireen, er bringt mich um!
Patientin: (elektronisch wiedergegeben, sehr laut, hallend) Doch die Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Hänschen mehr ...
Joseph: Ah.
Patientin: Da besinnt ...
Joseph: Mama!
Patientin: ... sich das Kind ...
Patientin / Joseph: (synchron) ... läuft nach Haus geschwind.
Tom: Eireen, was ...?
Eireen: Mein Tonbandgerät! Ich habe es mitgenommen! Und ich hatte es in der Psychiatrie auf Aufnahme eingeschaltet! Und nicht nur da!
Wirt: Joseph ... Joseph war seit der Geburt anders. Er sah erschreckend aus.
Joseph: (schreit erschrocken und zornig)
Wirt: Wir, meine Frau und ich ...
Tom: Er hat mich losgelassen!
Joseph: (kreischt)
Wirt: ... haben allen Leuten damals gesagt, er sei bei der Geburt gestorben.
Eireen: Tom, lauf weg, schnell.

Sie rennen davon. Joseph zertrümmert unter wildem Gebrüll das Tonbandgerät.

Wirt: (in verlangsamte Tiefen verzerrt) Uuunnd daaan haaaben wiiiir iiiiiihn zuuuuuhaaauuuuusee veersteeckt.
Tom: Mein Bein!
Eireen: Ich helf' dir! Schnell!

Josephs Gebrüll hallt ihnen nach, erst entfernt es sich, dann wird es wieder lauter.
Musik

Nach oben!
Fortsetzung:

 Das Ende

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© Die Gruselseiten (17. September 2001)