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Zu Gast im Geisterhof Zu Gast im Geisterhof
 

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 • Der weiße Tod

Autor dieser Szene: Volker Pietsch
 

Der weiße Tod

Im Innern eines fahrenden Busses

Reiseleiter: (über Mikrofon) Verehrte Fahrgäste, wir erreichen jetzt die Spitze des Kleinen Metzens. Dieser Ausläufer des Metzensteins trägt seinen Namen, weil er tatsächlich wie ein genaues Abbild des Hauptgipfels aussieht. Von hier aus in 2289 Metern Höhe bietet sich eine der schönsten Aussichten in der Region. Diese Wand des Metzensteins ist vom Wintersport bislang unberührt geblieben und abgesehen von der schmalen Straße, auf der wir gerade fahren, gibt es noch überhaupt keine Anzeichen menschlicher Zivilisation. Sie sind sozusagen ganz allein mit der Schöpfung. Damit das so bleibt, wollen wir Sie darum bitten, etwaigen Müll oder Essensreste in den Eimer zu werfen, den Ihnen der Fahrer hier vorne bereithält. Wir halten nämlich nun für eine Viertelstunde an, damit sie fotografieren oder ganz einfach die Aussicht genießen können. Achten Sie aber bitte darauf, sich nicht zu weit vom Bus zu entfernen.

Der Bus hält. Türen zischen. Gemurmel der Fahrgäste.

Tom: Na komm, schießen wir 'n paar Bilder.
Eireen: Mhm. Nimmst du den Riesen-Schild etwa mit?
Tom: Na, ich dachte, wir könnten das Motiv von deiner Postkarte nachstellen. Du als der Ritter, den Gott aus dem Hochwasser errettet ... Na ja, aus dem Hochschnee ...
Eireen: Und was willst du darstellen, mein Pferd?

Ihre Schritte knirschen im Schnee. Wind. Die Touristenmenge wird stetig leiser.

Eireen: Dieser Ritter auf der Postkarte hat übrigens tatsächlich etwas mit deinem Schild zu tun. Nach dem, was hier im Programm von der Schloßführung steht, ist der Ritter auf diesem Bild Konrad von Tannhausen. Dieser Konrad wollte den väterlichen Segen für seine Hochzeit einholen. Dabei mußte er jedoch durch einen Turm, der von Ungeheuern bewohnt wurde. - Moment, Moment ... Ah: Nur zur Mitternachtsstunde schliefen die Bestien. Aber kurz, bevor der Ritter den Turm durchritten hatte, schlug die Stunde eins und ein Greif stürzte sich auf ihn.
Tom: Ein Greif?
Eireen: Das war eine Kreatur, halb Geier, halb Raubkatze.
Tom: War sein Familienname zufällig Fox?
Eireen: Der Ritter schlug ...

Ein klatschendes Geräusch

Tom: Au!
Eireen: ... dem Greifen eine Klaue ab und konnte entkommen.
Tom: Aha. Daher also die Vogelkralle, die auf den Schild gemalt ist.
Eireen: Du bist so klug. Und weißt du auch, was wir als nächstes machen?
Tom: Wir machen schnell die Fotos und gehen dann zurück zum Bus, bevor der ohne uns abfährt. Wir haben uns nämlich schon ziemlich weit entfernt.
Eireen: Und dann suchen wir diese Frau, von der der alte Mann im Souvenirladen erzählt hat.

Ein donnerndes Geräusch, noch entfernt, schnell lauter werdend.

Tom: Was ist das? Hör' doch mal!
Eireen: Großer Gott! Das ist eine Lawine! Da, sieh' nur, da oben! Wir müssen zum Bus!

Atemlos stolpern sie durch den Schnee. Entfernte Schreie der anderen Fahrgäste.

Tom: Verdammt! Eireen! Ich bin steckengeblieben!
Eireen: Tom!
Tom: Ich hab' mir den Fuß verstaucht!
Eireen: Das darf doch nicht wahr sein! Los, zurück zu dem Schild.

Die entfernten Schreie der Touristen brechen plötzlich ab. Metall kracht und quietscht.

Tom: Der Bus! Die Lawine hat den Bus erreicht! All die andern sind ...
Eireen: Leg' dich auf den Schild. So, und jetzt los! Komm' schon, schneller!
Tom: Das ist zu steil! Wir werden sterben!
Eireen: Sie ist direkt hinter uns!
Eireen und Tom: (synchron) Aaaaaaaaahhhhhhhhh!

Der Schild saust den Berg hinunter. Enormer Fahrtwind. Ohrenbetäubender Lärm der Lawine.

Tom: Eireeeeeen! Der Wald da unten!
Eireen: Mein Gott! Das ist das Ende!

Umknickende Bäume

Eireen und Tom: Aaaaaaaaaaahhhhhhhhhh!

Das Geräusch von zersplitterndem Holz läßt nach, nicht aber der Lawinendonner.

Eireen: Da ist das Tal, da ist das Tal, da ist das Tal!
Tom: Nein, sieh' doch da vorne! Der Abgrund!
Eireen: Oh nein, bitte nicht!

Mit einem Mal kein Fahrtgeräusch mehr. Das Lawinengewitter entfernt sich. Wind.

Eireen und Tom: Ooooooohhhhh neeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiin!

Aufprall im Schnee. Schmerzensschreie. Stöhnen.

Eireen (außer Atem) Tom ...
Tom: Ah!
Eireen: Tom, lebst du noch?
Tom: Eireen ...
Eireen: Die Lawine ... Wir sind über den Abgrund geflogen. (lacht kurz und hysterisch) Wir hatten ganz schön Fahrt drauf. Die Lawine stürzt in den Abgrund.
Tom: Wir ...
Eireen: Wir haben's geschafft.
Tom: Die ... die anderen nicht.
Eireen: Nein.

Musik

Nach oben!
Fortsetzung:

 Bettlägerig

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© Die Gruselseiten (04. Mai 2001)