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Dem Monster auf der blutigen Spur (13) Pouliguen
 
Sprecher Henry Kielmann
Markante Textbeiträge "Salaün ist ein Mutant. Er hat schwere Erbschäden. Und er ist nicht nur schwachsinnig, sondern auch gefährlich."
"Ich mußte ihn in die Höhle sperren. Er ist ein Ungeheuer. Er ist mein Sohn - aber ist ein Ungeheuer."
"Er muß hier leben: in einer Höhle am Meer."
Zur Person Gäbe es in der Neon-Welt des H.G. Francis eine Gruselgazette (und bei so vielen Protagonisten "von der Zeitung" sollte es eine geben), hätten die Väter eine konstant schlechte Presse. Was sich hier nämlich an Defiziten zeigt, würde so manchem Pädagogen die Haare zu Berge stehen lassen - Horror ganz anderer Art: Da ist zum Beispiel Graf Leopold, der seine Tochter bei lebendigem Leibe einmauern läßt, weil er mit der Wahl ihres Geliebten nicht einverstanden ist. Oder Lord Cattenbury, der den Tod seines Sohnes Billy vortäuscht, um Touristen an den Loch Ness zu locken. Unvergessen auch Horst Gallun, der sich von Sohnemann Martin vor allem belästigt fühlt: "Martin ist ein Junge, dem es gefällt, andere zu ärgern, anderen auf die Nerven zu gehen." Ebenfalls schlechte Vorbilder sind die Herren Dracula und Frankenstein: Gräfin Dracula setzt die lichtscheue Existenz des alten Vlad munter fort, und Dr. Frank verleugnet das Erbe seines Vaters auch nur dem Namen nach. Beide sind eindeutig Opfer einer fehlgeleiteten Erziehung.
Monsieur Pouliguen ist auch so ein Vater, wie er im Buche (des H.G. Francis) steht. Von Beruf ist er ein Fischer, der an der Nordküste der Bretagne lebt; sinnigerweise trägt er auch gleich den Namen eines dort liegenden Küstenortes - fast typisch für Francis, der ja gerade in der Namensgebung Spontaninspirationen nie abgeneigt war. Ein weiteres Beispiel dafür ist etwa der Monster-Laborant Dr. Giralda, der nach einem maurischen Turm in Sevilla benannt ist. Vielleicht hat Francis ja auch dort mal Urlaub gemacht ...
Den Fischer Pouliguen lernen wir nie kennen, dafür aber den Vater; und der spielt mit seiner Ausübung des Erziehungsrechts ganz klar in der Leopold-Liga: Als er erkennt, daß sein Sohn Salaün ein Mutant mit übersinnlichen Fähigkeiten ist, fackelt er nicht lang und kettet ihn in einer Höhle am Meer fest. Später, nach Salaüns Ausbruch, rechtfertigt er seine Taten mit der größten Selbstverständlichkeit und beschimpft seinen Sohn als "schwachsinnig", "gefährlich" und "ein Ungeheuer". Dabei ist es erst diese Behandlung - auch von seiten der Gesellschaft, die Pouliguens Verhalten nicht ernsthaft in Frage stellt -, die Salaün zu einer Gefahr macht: Die Gewalttaten des Mutanten sind ausnahmslos - wenn auch übertriebene und unangebrachte - Akte der Notwehr und der Nothilfe. Der unfreiwillige, eigentlich unschuldige Außenseiter bedroht die Gesellschaft, die ihn nicht akzeptieren will: Näher ist Francis der Figur des Shelleyschen Frankenstein-Monsters nie gekommen - trotz "Frankensteins Sohn" und der "Blutfürsten".
Papa Pouliguen ist letztlich auch für Salaüns Tod ursächlich: Von ihm kennt der Mutant nämlich die Geschichte, das Weihwasser aus der Fontaine de Salaün mache klug und schön. Tatsächlich ist es dieses Wasser, das ihn am Ende umbringt. Natürlich hat Pouliguen das nicht geahnt - sonst hätte er Salaün wohl längst ein Schälchen davon kredenzt -, aber für seine Vaterqualitäten ist es schon bezeichnend, daß er seinem Sohn auch da - unbeabsichtigt - schadet, wo er mit ihm spricht, seiner Erzieherrolle also noch am ehesten gerecht wird.
So ist ausgerechnet Pouliguen der große Gewinner der ganzen Geschichte, wird er doch den ungeliebten Sohn los, ohne irgendwie für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Seine Trauer über Salaüns Tod wird sich entsprechend in Grenzen halten. Wie Jean schon zu Beginn der Folge meinte: "Ein widerlicher Typ." Und mehr gibt es über M. Pouliguen auch nicht zu sagen. Salaün wiederum ist das Musterbeispiel für die Erziehungsopfer in den Francisschen Schauermärchen: Wer solche Väter hat, braucht keine böse Stiefmutter mehr. (dl)
 
 

 

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© Die Gruselseiten (06. November 2002)