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Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten (2) Mordabrunn
 
Zum Gemäuer Altes Gemäuer in Transsylvanien, in dem Dr. Frankenstein und seine Assistentin Dr. Finistra an Frankensteins Lieblingsprojekt, dem Homunculus, arbeiten. Des weiteren haust auch noch Graf Dracula auf Mordabrunn.
Genretypischerweise ist das Schloß ebenso geheimnisumwittert wie unbeliebt. Der Wirt im nächstgelegenen Dorf steigert sich sogar in Zerstörungsphantasien hinein ("Mein Gott, wenn man doch endlich dieses verfluchte Schloß Mordabrunn abbrennen würde!"), erzählt uns aber nicht, wieso: "Niemand ist je von dem Schloß zurückgekehrt, seitdem dort ..." Ja - seitdem dort was? Es ist nicht der letzte Satz in den "Blutfürsten", der unvollendet bleibt.
Ansonsten erfahren wir über Schloß Mordabrunn nur Widersprüchliches, angefangen bei seinem Äußeren: Eireen Fox findet es ein "bißchen düster", Tom Fawley kommt hingegen zu einem anderen Urteil: "Also, mir gefällt's." Sicher ist: der Weg nach Mordabrunn ist "lang und selbst mit dem Auto beschwerlich", das Schloß verfügt über eine von außen zugängliche Kapelle voller Särge und Gerümpel, ist innen aber recht modern ausgestattet. Neben der elektrischen Türklingel beeindruckt vor allem das selbst zur Schaffung von künstlichen Menschen geeignete Labor.
Besonders verworren sind die Eigentumsverhältnisse: Dracula und Frankenstein widersprechen sich hier, ohne dabei ins Detail zu gehen; allerdings deuten schon ihre selbstgewählten Pseudonyme Graf Cula und Dr. Stein darauf hin, daß wir von ihnen nur Halbwahrheiten zu hören bekommen werden. Das erste Wort in der strittigen Frage hat Dracula, der sich selbstbewußt als "Herr über Schloß Mordabrunn" vorstellt. Nicht sehr herrschaftlich macht er sich aber aus dem Staub, als Frankenstein die Szene betritt. Draculas Position bleibt ungenau: "Dr. Stein. Dieser Mann ..." Tja, wieder so ein unvollendeter Satz, dessen zweite Hälfte Klarheit hätte bringen können: "... ist ein Hausbesetzer"? "... ist mein Untermieter"? Wer weiß? Vielleicht ist Mordabrunn ja früher als Schloß Dracula bekannt gewesen, bevor der Graf seinen Hang zu sprechenden Decknamen auszuleben begann ...
Frankenstein wiederum beansprucht die Hausherrenrolle für sich und will von einem aristokratischen Mitbewohner nichts wissen: "Auf dem Schloß wohnt niemand außer mir und meiner Assistentin Dr. Finistra." Das ist wieder so eine Halbwahrheit, die uns um keinen Deut schlauer macht: Dracula wohnt tatsächlich nicht im Schloß, sondern in der Schloßkapelle (angesichts dessen, welche Rolle Schloßkapellen in den Folgen 8 und 11 spielen, ist das schon der Gipfel der Ironie). Daß Frankenstein bis zum Schluß leugnet, einen zweiten Hausgenossen zu haben, ist wohl reine Verschleierungstaktik: Wozu - wenn nicht zur Bannung Draculas - sollte er als Mann der Wissenschaft ein Kreuz im Haus haben? Außerdem weiß Finistra über Dracula erstaunlich gut Bescheid. Frankenstein will sich eben vor Tom und Eireen als seriöser Forscher profilieren, und in dieses Bild paßt ein Vampir im Haus nicht.
Fassen wir zusammen: Für Frankensteins Anspruch spricht, daß er im Haus lebt und arbeitet, während Dracula mit der Kapelle vorliebnehmen muß. Ferner steht in der Schloßchronik "nichts über Vampirismus". Für Dracula hingegen spricht der Schauplatz Transsylvanien, das sprichwörtliche "Land des Grafen Dracula" (O-Ton Wirt), in dem Frankenstein bis dato noch nichts verloren hatte. Außerdem beginnt der Wirt seine Mordabrunn-Haßtirade ausgerechnet in einem Gespräch über Vampire.
Die Frage nach dem wahren Herrn über Schloß Mordabrunn muß also, wie so viele in den "Blutfürsten", offenbleiben. Doch zugleich könnte dieser ungelöste Konflikt die Antwort auf manche andere Frage geben: Vielleicht ist der Kleinkrieg gerade zwischen Dracula und Finistra als eskalierender Nachbarschaftsstreit zu verstehen, in dem letztlich auch Frankenstein zerrieben wird. Vielleicht haben Dracula und Frankenstein, wahrlich ein odd couple, früher eine gemütliche Herren-WG gebildet, mit geselligen Abenden bei Rotwein und Blutkonserven, bis dem Doktor die Arbeit an dem Homunculus einfach zuviel wurde. "Niemand ist je von dem Schloß zurückgekehrt, seitdem dort ..." hatte der Wirt angedeutet. Vielleicht meinte er ja: "... seitdem dort diese Frau mit der irren Lache aufgekreuzt ist." (dl)
 
 
 

 

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© Die Gruselseiten (22. Juli 2002)