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Dracula, König der Vampire (3)

Draculas Insel, Kerker des Grauens (10)

Dracula, Graf
... der Roman "Dracula" von Bram Stoker
 
Markantes Zitat "junger Mann geht aus - trifft Mädchen, das ihn nicht auf den Mund, sondern auf den Hals küssen will. Alter Graf geht voller Wut und teuflischer Wildheit dazwischen. Dieser Mann gehört mir - ich will ihn." (Bram Stokers erste Notiz für "Dracula" vom 8. März 1890)
Zum Roman von Bram Stoker Im März 1890 war Bram Stoker (1847 - 1912) 42 Jahre alt. Der gebürtige Dubliner war ein stämmiger, Freunden und Bekannten zufolge pflichtbewußter und nicht gerade humorvoller Mensch. Er war mit einer ebenso schönen wie frigiden Frau verheiratet und hatte einen elfjährigen Sohn. Eigentlich ausgebildeter Anwalt und im irischen Staatsdienst tätig, verließ er 1878 die sichere Beamtenlaufbahn, um für Henry Irving zu arbeiten, der damals einer der größten Schauspieler der Welt war. Stoker verehrte Irving abgöttisch und ließ sich von diesem ebenso brillanten wie skrupellosen Egomanen jahrzehntelang klaglos ausbeuten. 1890 war er Irvings Manager und leitete im Rahmen dieser Tätigkeit auch noch das Lyceum Theatre in London - für Irving das, was Bayreuth für Wagner war. Zugleich war Stoker ein literarisch nicht allzu ambitionierter, aber fleißiger Hobbyschriftsteller, und obwohl Freizeit und Urlaub für ihn weitgehend Fremdwörter waren, gelang es ihm, nebenbei Romane und Erzählungen zu verfassen, hauptsächlich Horrorgeschichten, die aber meist verrissen oder gar nicht erst beachtet wurden. 1890 begann Stoker dann an dem zu arbeiten, was letztlich der "Dracula" werden sollte. Nach seiner eigenen Version ist ihm die erste Idee für sein opus magnum durch Alpträume nach einem späten, fetten Essen gekommen; und wenn man sich seine erste Notiz betrachtet, muß er eine Szene geträumt haben, aus der später die vom Grafen gesprengte Begegnung Jonathan Harkers mit den drei Vampirbräuten auf Schloß Dracula wurde, die auch Aufnahme in "Dracula - Jagd der Vampire" und "Dracula, König der Vampire" fand.
Der Traum ließ Stoker nicht mehr los; die Idee zu einer literarischen Verarbeitung ergab sich quasi von selbst, doch scheinbar wußte er anfangs nicht recht, was er damit anfangen sollte. Zunächst plante er ein Theaterstück mit dem etwas umständlichen Arbeitstitel "Von der Steiermark nach London, Tragödie, Entdeckung und Bestrafung". Diesen Gedanken ließ er aber schnell fallen und entschied sich stattdessen für einen Roman, dessen Protagonist ein gewisser "Count Wampyr" sein sollte. (Titel waren offensichtlich nicht Stokers Stärke.) Zusätzlich inspiriert von okkulten Berichten des Budapester Orientalisten Arminius Vanbéry (beide waren Mitglieder einer okkulten Loge in London) und der bittersüßen Vampirerzählung "Carmilla" des irischen Schriftstellers Joseph Sheridan Le Fanu, machte sich Stoker noch im selben Jahr an die Arbeit. Endgültig fertigstellen sollte er den Roman erst im Juni 1897; denn die Geschichte erfuhr in diesen Jahren zahllose mehr oder weniger gravierende Änderungen, außerdem kam Stoker nur in seinen seltenen Ferien und während langen Zugfahrten auf Irvings Tourneen zum Schreiben.
Bald verlegte Stoker die Handlung des Romans von der Steiermark nach Transsylvanien, zum einen, um sich von Le Fanus "Carmilla" abzugrenzen, die in der Steiermark spielt, zum anderen, weil er während seiner exzessiven Recherchen auch einige Transsylvanien-Reiseführer in die Hände bekommen hatte und ihm diese Gegend sehr passend für seine Geschichte erschien. Im Rahmen seiner Recherchen stieß er bald auf den walachischen Fürsten Vlad Tepes (= Vlad, der Pfähler), auch Dracula (rumänisch für "Sohn des Drachen" oder auch "Teufel") genannt. Teile der Biographie und auch der Physiognomie dieses extrem grausamen Feldherrn aus dem 15. Jahrhundert übernahm Stoker für seinen vampirischen Helden, bis er schließlich auch den albernen Namen "Wampyr" durch "Dracula" ersetzte. Erst 1897 wurde "Dracula" dann zum Titel des Buches, das zuvor "Graf Wampyr", "Der Untote" und "Der tote Untote" geheißen hatte.

Zum Inhalt: Der junge Anwalt Jonathan Harker reist im Auftrage seines väterlichen Kanzleichefs Peter Hawkins nach Transsylvanien, um mit dem Grafen Dracula den Kauf eines Anwesens in London abzuschließen und die Formalitäten zu regeln. In Bistritz händigt ihm die Wirtin seines Hotels einen Brief Draculas aus, und wie alle anderen Einheimischen warnt sie Harker vor dem Grafen. Nachdem sie ihn vergeblich angefleht hat, nicht weiterzureisen, drängt sie ihm ein Kruzifix auf. Harker setzt die Reise mit der Postkutsche fort. Am Borgo-Paß wird er nachts von einem anderen, vermummten Kutscher übernommen. Auf der Fahrt nach Schloß Dracula wird die Kutsche von Wölfen umlagert, die der Kutscher aber zu Harkers Entsetzen mit bloßen Armbewegungen vertreibt. Auf dem halbverfallenen Schloß angekommen, wird Harker von Graf Dracula persönlich empfangen, einem alten, kultivierten Mann, dessen unheimliches Äußeres und Gebaren ("Hören Sie - die Kinder der Nacht!") Harker aber bereits während des Begrüßungsessens ängstigen.
In den folgenden Nächten informiert Harker den Grafen, den er ausschließlich nachts zu Gesicht bekommt, über englische Sitten und Gebräuche (wenn der Graf nicht gerade über seine (scheinbare Familien-)Geschichte doziert) und schließt den Kaufvertrag über das Grundstück ab. Dabei handelt es sich um Carfax Abbey, ein altes Gemäuer in Purfleet bei London, direkt neben einer Irrenanstalt gelegen. Zugleich sieht sich Harker mehr und mehr dem Schrecken ausgeliefert. Dracula ist in Harkers Rasierspiegel nicht zu sehen, und nur die Berührung des Kruzifixes hält jenen davon ab, über Harker, der sich beim Rasieren geschnitten hat, herzufallen. Harker stellt fest, daß er ein Gefangener in dem Schloß ist, auf dem sonst niemand zu leben scheint. Er beobachtet, wie Dracula, einer Eidechse gleich, kopfüber die Schloßmauer herunterklettert. Als er Draculas ausdrückliche Warnung mißachtet und außerhalb seines Zimmers schläft, wollen sich drei junge Frauen, die aus dem Mondlicht getreten sind, an ihm laben, werden aber im letzten Moment von Dracula zurückgehalten, der ihnen stattdessen ein kleines Kind übergibt. Als dessen verzweifelte Mutter bald darauf vor dem Schloß erscheint, wird sie von Draculas Wölfen zerrissen. Währenddessen tauchen Zigeuner im Schloß auf, die Kisten mit Erde füllen. Harker übergibt ihnen einen Brief mit Hilferufen, den sie aber Dracula aushändigen. Der vernichtet den Brief vor Harkers Augen. Schließlich findet Harker in einer Gruft Dracula in einem Sarg liegend vor und hat nun die Gewißheit, es mit Vampiren zu tun zu haben. Als der Graf Harker das nächste Mal gegenübertritt, und letzterer auf seine sofortige Abreise besteht, gibt ihm Dracula zu verstehen, daß in dem Moment, da er das Schloß verläßt, die Wölfe auch über ihn herfallen werden. Die Kisten mit Erde, in einer von ihnen Dracula, werden am nächsten Tag von den Zigeunern abtransportiert. (Bei Stoker kommt es nämlich nicht auf den Sarg an: Der Vampir muß einfach auf Heimaterde ruhen.) Harker weiß, daß er den drei Vampirinnen nun schutzlos ausgeliefert ist, und wagt die Flucht.
Zur gleichen Zeit verbringt Harkers Verlobte Mina Murray den Sommer in dem Küstenstädtchen Whitby bei ihrer koketten Freundin Lucy Westenra und deren Mutter. Die jungen Frauen verbringen die Tage mit ausgedehnten Spaziergängen, unter anderem auf dem örtlichen Friedhof, wo sie sich von dem griesgrämigen Greis Mr. Swales allerlei makabre Anekdoten erzählen lassen. Kurz zuvor hat Lucy sich mit dem Adeligen Arthur Holmwood verlobt, nachdem sie zwei seiner Freunde abgewiesen hatte: den Texaner Quincey P. Morris und Dr. John Seward, den Leiter der neben Carfax Abbey gelegenen Irrenanstalt. Eines Nachts läuft das Schiff "Demeter" im Hafen von Whitby ein. Ein großer Hund springt an Land und verschwindet spurlos. An Bord findet sich nur die Leiche des Kapitäns. Aus dem Logbuch geht hervor, daß die Mannschaft nach und nach Opfer eines fremden Wesens geworden ist. Die Schiffsfracht, fünfzig Kisten mit Erde, werden einem örtlichen Anwalt übergeben. Zwei Tage später wird Mr. Swales mit gebrochenem Genick auf seiner üblichen Bank aufgefunden. Lucy gibt von nun an Anlaß zur Sorge. Sie wird von Tag zu Tag schwächer und beginnt schlafzuwandeln. An ihrem Hals finden sich zwei merkwürdige Wundmale; währenddessen schwirrt in den Nächten eine Fledermaus um Lucys und Minas Schlafzimmer. Da bekommt Mina Post aus Ungarn: Harker befindet sich in einem Budapester Krankenhaus, wo er ein heftiges Nervenfieber auskuriert. Mina reist zu ihm und heiratet ihn noch am Krankenbett.
Dr. Seward hat sich unterdessen nach seinem vergeblichen Heiratsantrag in die Arbeit gestürzt und widmet sich vor allem dem neuesten Patienten seiner Anstalt: R. M. Renfield ist davon besessen, lebende Insekten und Spinnen zu verspeisen, um damit sein Leben ins Unermeßliche zu verlängern, träumt dabei von Blut (auch von Sewards, an das er einmal gewaltsam zu kommen versucht) und schwärmt für einen mysteriösen "Meister", der nahe sei. Zugleich ist er aber auch zu intellektuellen Gesprächen fähig. Als in das verlassene Nachbaranwesen Carfax Abbey Kisten geliefert werden, verkündet Renfield seines Meisters Ankunft und kann nur mühevoll daran gehindert werden zu fliehen. Seward wird aus Renfields Verhalten nicht schlau. Da erreicht ihn ein Hilferuf Arthur Holmwoods: Lucy verfällt zusehends; dazu kann sich nach Minas Abreise niemand recht um sie kümmern. Arthur muß seinem sterbenden Vater Lord Godalming beistehen, und Mrs. Westenra ist selbst todkrank. Seward untersucht Lucy, kann aber keine eindeutige Diagnose stellen und ruft seinen alten Lehrer und Freund Professor Abraham van Helsing aus Amsterdam zuhilfe, einen äußerst vielseitigen Wissenschaftler und Experten auf dem Gebiet obskurer Krankheiten und okkulter Phänomene. Van Helsing erkennt schnell, daß Lucy Opfer eines Vampirs ist, behält das aber für sich und verblüfft ihren Bekanntenkreis mit einer ungewöhnlichen Therapie: Alle Fenster werden geschlossen gehalten und überall im Krankenzimmer verteilt er Knoblauch. Zugleich wird Lucys andauernder Blutverlust durch Blutspenden Arthurs, Sewards, Quinceys und Van Helsings ausgeglichen. (Obwohl Seward und Van Helsing praktische Ärzte sind, kommt übrigens niemand auf die Idee, eine Blutgruppenanalyse vorzunehmen.) Doch nichts kann Lucy retten. Als Dracula eines Nachts in Wolfsgestalt in das Haus eindringt, reißt Mrs. Westenra in Panik ihrer Tochter den Knoblauchblütenkranz vom Hals und stirbt. Lucy ist Dracula schutzlos ausgeliefert und überlebt die Nacht nicht. Etwa zur gleichen Zeit sterben auch (jeweils eines natürlichen Todes) Lord Godalming und Peter Hawkins, der seinen Besitz Jonathan Harker hinterläßt. Der ist unterdessen mit Mina nach London zurückgekehrt, leidet aber immer noch an den Folgen seiner Erlebnisse. Als er auf einem Spaziergang zufällig den deutlich verjüngten Grafen sieht, weiß er, daß Dracula England erreicht hat. Die Harkers treffen nun mit Van Helsing zusammen, und Mina, die inzwischen um die Geschehnisse in Transsylvanien weiß, übergibt dem Professor eine Abschrift von Harkers Reisetagebuch. Van Helsing kennt nun seinen Gegner.
Bald nach Lucys Beerdigung beginnt in Hamstead eine "Frau in Schwarz", die kleine Kinder anfällt und beißt, Angst und Schrecken zu verbreiten. Van Helsing schaltet natürlich sofort. Zunächst mit Seward, in der folgenden Nacht auch mit Quincey und Arthur, lauert er Lucy auf dem Friedhof auf. Als Lucy mit "frischer Beute" auftaucht, hat Van Helsing seine zuvor skeptischen Freunde von der Richtigkeit seiner Vampirtheorie überzeugt und treibt Lucy mit einem Kruzifix in ihre Gruft. Am nächsten Tag kehren die vier Freunde zur Gruft zurück, und auf Van Helsings Geheiß pfählt Arthur seine Verlobte. Nun beginnt die Jagd auf Dracula. Dazu nisten sich Van Helsing, Arthur, Quincey und auch die Harkers in Sewards Irrenanstalt ein. Zunächst werden die Holzkisten in Carfax Abbey mit Hostien "sterilisiert", dann machen sich die Männer in detektivischer Kleinarbeit daran, die fehlenden der fünfzig Kisten aufzuspüren. Dabei bemerken sie kaum, daß Minas Gesundheit zu wünschen übrig läßt und sie immer schwächer wird. Als Mina einmal Renfield in seiner Zelle besucht, fleht der sie vergebens an, die Anstalt sofort zu verlassen. Mina bleibt. Ein Fehler, denn natürlich ist Renfields geheimnisvoller Meister niemand anders als Dracula, der Renfield dazu mißbraucht hat, sich freien Zutritt in die Irrenanstalt zu verschaffen (bei Stoker müssen Vampire, um ein Haus betreten zu können, bei ihrem ersten Besuch von einem Bewohner hereingebeten werden), und dessen neues Opfer inzwischen Mina ist. Drei Tage darauf ertönen nachts Schreie aus Renfields Zelle. Seward, Van Helsing, Arthur und Quincey eilen herbei und finden den schwerverletzten Renfield. Der offenbart ihnen sterbend sein Geheimnis (auf das zumindest Seward aber eher hätte kommen können). Sie stürmen nun das Schlafzimmer der Harkers und finden dort, neben dem betäubten Jonathan die blutverschmierte Mina und Dracula, den Renfield vergeblich aufzuhalten versucht hatte. Dracula entkommt, nachdem er seinen Durst an Mina gestillt und sie danach gezwungen hat, sein Blut zu trinken: "Du aber - ihr aller Liebling, bist Fleisch von meinem Fleisch, Blut von meinem Blut, bist von meiner Art [...]. Du hast geholfen, mich zu bekämpfen; jetzt wirst du meinem Befehl gehorchen. Wenn mein Hirn dir befiehlt: 'Komm!', wirst du Länder und Meere überqueren, um mir zu dienen!" Mina ist nun "unrein", und als Van Helsing eine Hostie auf ihre Stirn legt, brennt sich diese in Minas Haut und hinterläßt eine rote Narbe. Natürlich besteht jetzt eine gesteigerte Notwendigkeit, den Vampir unschädlich zu machen. Die Freunde haben inzwischen herausgefunden, daß Dracula in London mehrere Häuser erworben und so seine Kisten über die ganze Stadt verteilt hat. Sie dringen in die Häuser ein und machen die Kisten durch Hostien für den Grafen unbrauchbar. In einem Haus gelingt es ihnen gar, Dracula selbst zu stellen, aber wieder kann er entkommen und bleibt mitsamt seiner letzten Kiste verschwunden. Doch Van Helsing (der Schlaukopf kann einfach alles) hypnotisiert Mina, die seit ihrer "Bluttaufe" innerlich mit Dracula verbunden ist. So findet er heraus, daß Dracula per Schiff auf dem Weg in seine Heimat ist. Zusammen mit den Harkers, Seward, Quincey und Arthur reist er dem Grafen auf dem schnelleren Landweg nach, um ihn am Zielhafen in Empfang zu nehmen und zu töten. Doch Dracula hat seinerseits Minas Gedanken gelesen und, seine Macht über das Wetter gebrauchend, sein Schiff in einen anderen Hafen gelenkt.
Die Freunde trennen sich. Während Van Helsing mit Mina direkt nach Schloß Dracula aufbricht, verfolgen die anderen den Grafen: Quincey und Seward zu Pferde, Harker und Arthur mit einem Dampfschiff. Einige Tage später erreichen Van Helsing und Mina Schloß Dracula und lagern vor dessen Toren. Schon bald bekommen sie Besuch von den drei Vampirinnen, vor denen Van Helsing Mina und sich aber mit Hostien zu schützen weiß. Am nächsten Tag sucht er die Gruft des Schlosses auf und pfählt die ruhenden Vampirinnen. Inzwischen nähern sich Zigeuner dem Schloß. Mit sich führen sie die Kiste, in der Dracula ruht. Seward und Quincey, zu denen auch Harker und Arthur stoßen, verfolgen die Zigeuner, während die Sonne sich mehr und mehr ihrem Untergang zuneigt. Kurz vor dem Schloß kommt es nun zum leider etwas unspektakulären Showdown. Unsere Helden überwältigen die Zigeuner, und im letzten Moment vor dem Sonnenuntergang gelingt es ihnen, Dracula ein Messer ins Herz zu rammen und ihn zu enthaupten. Für einen Moment zeigt sich auf Draculas Gesicht ein "Ausdruck tiefen Friedens", dann zerfällt er zu Staub. Im selben Moment verschwindet die Narbe von Minas Stirn. Quincey aber wurde während des Kampfes mit den Zigeunern schwer verwundet und stirbt.
Sieben Jahre später besuchen die Freunde noch einmal Transsylvanien, begleitet von dem kleinen Sohn der Harkers, Quincey. Nur das verwaiste Schloß Dracula erinnert noch an die vergangenen Schrecken.

Anstatt sich eines auktorialen oder eines einzelnen subjektiven Erzählers zu bedienen, setzt sich der Roman aus Tagebucheinträgen, Briefen, Telegrammen, Logbuchauszügen, Memoranden und Zeitungsartikeln zusammen. (Den Hauptanteil haben die Tagebucheintragungen von Jonathan Harker, Mina und Dr. Seward.) Dadurch erreicht Stoker eine starke Unmittelbarkeit zu den geschilderten Ereignissen und sorgt sowohl für Abwechslung als auch für eine gewisse "Authentizität". In seinem schwachen Roman "Das Geheimnis des schwimmenden Sarges" (1909), der ebenfalls in Transsylvanien spielt (ist aber kein Vampirroman), hat Stoker dieses formale Konzept erneut verwendet.
"Dracula" erschien erstmals im Juni 1897, und die erste Reaktion war voll überschwenglichen Lobes. Sie stammte von Stokers Mutter, die ihrem Sohn bescheinigte, Mary Shelleys "Frankenstein" und auch Edgar Allan Poe an Originalität und Schrecken übertroffen zu haben. Zudem prophezeite sie ihrem Sohn Ruhm und Reichtum. Beides sollte Stoker selbst nicht widerfahren. Es gab zwar einige freundliche Kritiken, doch mehrheitlich wurde der Roman verrissen; die Rezensenten beklagten einen Mangel an künstlerischer Konzeption und höherem Literaturverständnis. Zu Stokers Lebzeiten erlebte der Roman acht Auflagen, reich wurde Stoker dadurch aber nicht. (Die erste deutschsprachige Ausgabe erschien übrigens 1908 in Leipzig.) Stoker schrieb weiter und brachte noch einige Bücher heraus, darunter den mehrfach verfilmten Mumienroman "Die sieben Finger des Todes" (1904) und die immerhin von Ken Russell verfilmte Vampirvariation "Das Schloß der Schlange" (1911), zumal er nach Henry Irvings Tod 1905 einzig von der Schriftstellerei leben mußte. Er starb 1912 im Alter von 64 Jahren. Den Siegeszug seiner berühmten Schöpfung, zunächst auf der Bühne und dann erst recht im Film, hat er nicht mehr miterlebt. Schon aufgrund seiner enormen Wirkung (wenn auch vor allem in anderen Medien) ist der Roman natürlich immer wieder aufs neue interpretiert und aus jeder nur denkbaren ideologischen und wissenschaftlichen Sichtweise heraus beleuchtet worden (aber in welchen Roman kann man nicht alles hereininterpretieren?): So wurde der Roman zum Beispiel als Allegorie auf den Kampf der Kulturen, als frauenfeindliche Männerphantasie oder auch als Kritik an der Aristokratie (und Holmwood?) verstanden. Am meisten verbreitet (und entsprechend ausgelutscht) ist natürlich die freudianische Interpretation in all ihren Facetten. Für all diese Ansätze hätte Stoker selbst wohl kein Verständnis gehabt. Sie waren ihm nicht bewußt, geschweige denn von ihm geplant.
Sicherlich ist Stokers Roman keine große Literatur. Er ist oberflächlich geschrieben und hat so manche Länge. Auch dienen manche Passagen offensichtlich weniger der Handlungsführung als vielmehr der Dokumentation Stokerscher Recherchen. Daß sich die "positiven Helden" des Romans charakterlich sehr unterscheiden, kann man auch nicht gerade behaupten - sie sind nahezu identisch. Außerdem ist der Roman - die Zeitungsartikel ausgenommen - durchgehend im gleichen Stil geschrieben, egal, wer gerade erzählt: ob Harker oder Mina, ob Seward, Van Helsing oder wer auch immer, ob alt oder jung, ob Anwalt oder Arzt, ob Mann oder Frau - immer hört man die gleiche Stimme. Das alles spricht gegen den Roman, es ließe sich mühelos noch mehr aufzählen. Und doch empfehle ich das Buch an dieser Stelle jedem unter der Sonne - schlicht und ergreifend, weil es, wenn man dem Genre nicht völlig abgeneigt ist, einfach Spaß macht (sogar H.G. Francis hat es offensichtlich gelesen; eine Ehre, die er dem Frankenstein-Roman allem Anschein nach nicht angedeihen ließ). Und Schwächen hin oder her: Die ersten vier Kapitel, die Harkers Aufenthalt auf Schloß Dracula beinhalten, sind und bleiben mit das beste Stück Horrorliteratur überhaupt. Punkt.

Noch zwei Bemerkungen zum Schluß:
1. Denen von Euch, die keine Zeit oder\und keine Lust haben, das Buch zu lesen, und dennoch einen genauen Eindruck gewinnen wollen, empfehle ich die extrem werkgetreue dreiteilige WDR 5-Hörspielfassung von 1995, die auch auf Kaufcassetten erschienen ist. Die Produktion ist opulent, und die Sprecher sind durchweg gut, namentlich Gottfried John als Van Helsing und Tommi "ALF" Pieper als Renfield. (Martin Reinke als Dracula ist Geschmackssache, hat aber was.)
2. Wenn Ihr Euch das Buch kaufen wollt, achtet darauf, welche Ausgabe Ihr Euch zulegt. Es kursieren nämlich einige gekürzte Fassungen. Sollte also die Ausgabe in Euren Händen - je nach Schriftgröße - deutlich unter 500 Seiten haben, legt sie wieder weg und besorgt Euch eine andere! (dl)

 
 
 

 

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© Die Gruselseiten (4. November 2001)